13.10.2022

Sorge um Sicherheit jüdischer Mitbürger

Bad Nauheim

»Auch wenn bisher nicht zweifelsfrei geklärt ist, wie das Fenster an der Synagoge in Hannover während des Gottesdienstes am Jom Kippur, dem jüdischen Versöhnungstag, zerbarst - die Angst vor einem Anschlag ist in der jüdischen Gemeinschaft gegenwärtig groß und nur allzu gut zu verstehen«, heißt es in einer Pressemitteilung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GcjZ) Wetterau.

Verweis auf Querdenkerdemo

Auch in der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim werden die Sicherheitsvorkehrungen für die Synagoge aktuell verstärkt, schreibt die GcjZ. Es gebe Befürchtungen, »dass rechte Gruppen und Verschwörungstheoretiker die Stimmung gegen die jüdischen Menschen bei uns schüren«.

Manfred de Vries, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, sagt dazu: »Ich hatte mich gestern zu den Schwierigkeiten der Verschiebung einer Querdenkerdemo bei uns geäußert. Ich habe dabei sehr gerne hervorgehoben, wie sehr die Politik hinter der jüdischen Gemeinde steht. Insgesamt ist die Gemengelage in Deutschland nicht sehr rosig - insbesondere nach dem geplanten Anschlag in Hagen, dem vermeintlichen Angriff auf die Synagoge in Hannover gestern und der rechten Demonstration am höchsten jüdischen Feiertag, am Jom Kippur, hier in Bad Nauheim.« Deshalb sei es richtig und wichtig, alle jüdischen Einrichtungen »anschlagfest« zu machen. »Ohne in Details zu gehen, sahen wir uns in Bad Nauheim genötigt, sehr große Sicherheitsanstrengungen in die Wege zu leiten.« Die Befürchtungen von de Vries teilen die übrigen Mitglieder des Vorstandes der GcjZ Wetterau: »Die seinerzeit nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle gebildete Menschenkette rund um die Synagoge hier war ein Zeichen der Bad Nauheimer, dass wir zusammenstehen. Und dieses Zeichen hat Bestand und ist leider wieder aktuell«, meint Dr. Peter Noss, Vorstandsmitglied und Beauftragter für den jüdisch-christlichen Dialog der hessischen Kirchen. »Dass es eine rechte Demonstration ausgerechnet an Jom Kippur gab, war eine unnötige, aber bezeichnende Provokation«, urteilt die Vorsitzende der GcjZ, Britta Weber. »Wir sind sehr froh über die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gießen, eine Bannmeile um die jüdischen Einrichtungen festzulegen.« Wie schon zu anderer Gelegenheit hätten sich zahlreiche Bad Nauheimer den Rechten entgegengestellt.

Eine offene Synagoge und Gemeinde würden dem Ziel, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen, zwar besser dienen als eine Synagoge mit hohem Zaun und weiteren Sicherheitsvorkehrungen, schreibt die GcjZ weiter.

Alte Ressentiments werden ausgepackt

Doch die Befürchtung sei groß, dass die Sicherheit der jüdischen Gemeinde in Zukunft noch mehr bedroht sein werde als sie jetzt schon sei. Der Krieg und die wirtschaftlich schwierige Lage provozierten Vorurteile, und man suche nach Schuldigen - da würden schnell alte Ressentiments ausgepackt, auch gegen Jüdinnen und Juden.

Manfred de Vries sagt dazu: »In der Vergangenheit war das immer die ungeschützte jüdische Bevölkerung in unserer Mitte. Ungeschützt, weil, wenn es darauf ankam, sich keiner schützend vor die jüdische Bürger stellte. Das ist heute anders. Wenn es schlimm kommt, haben wir immer noch den sicheren Hafen in Israel.« Doch dieses Szenario solle sich nicht erfüllen. Die Bundesrepublik mit der auf Menschenrecht und -würde für alle Bürger gegründeten Verfassung sollte einen entsprechend sicheren Rahmen bilden, denn dann sei die Demokratie eine wehrhafte.

Und es brauche eine klare Kante gegen alles, was dagegen verstoße, fordert die GcjZ Wetterau. Es müssten immer wieder Wege gefunden werden, um eine gute Zukunft für alle zu definieren und in die Tat umzusetzen - so wie es die Bedeutung des jüdischen Versöhnungsfestes Jom Kippur schon andeute: Man komme mit Gott und mit sich ins Reine und habe dabei vor allem den anderen im Blick.

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