16.07.2019

Jüdische Gemeinde Hanau engagiert sich gegen Ressentiments

Hanau

Rolf Oeser

"Es bedeutet mir viel, Mitglied dieser Gemeinde zu sein, zusammen viele Aktivitäten zu organisieren – und meinen Glauben zu leben“, sagt Irina Pisarevska. Auch deshalb, weil dies in der kommunistischen Sowjetunion unmöglich gewesen sei.

Heute ist Pisarevska, die 1998 nach Deutschland kam, ehrenamtliche Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hanau und hat sich hier für die ersten jüdischen Kulturwochen engagiert, die mit Filmen, Lesungen, Ausstellungen, Führungen kürzlich viel positive Resonanz erzeugten. Zur Freude von Pisarevska und anderen, für die das Festival ein wichtiger Beitrag ist, um Vorurteile abzubauen.

Die 2005 neu gegründete Gemeinde ist die jüngste in Hessen und zählt zu den kleinsten, aber auch den lebendigsten. Seit Beginn wuchs die Mitgliederzahl von 60 auf 200, die Wohnorte reichen von Maintal über Hanau bis Bad Orb. Etwa 80 Prozent haben Wurzeln in der früheren Sowjetunion. Die Gemeinde bietet neben Gottesdiensten Computer- und Deutschkurse an, hat eine Sonntagsschule für Kinder, ein Schachteam und öffnet oft ihre Türen, etwa für Schulen. Für Oliver Dainow vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden prägt die Hanauer ihre „große Aktivität“. Sie „bringen sich intensiv ein“, etwa mit Ideen für Kurse.

Leute wie Pisarevska haben die Gemeinde, die auf eine gut 400-jährige Geschichte zurückblickt, wiederbelebt. Die alte Synagoge in der Nordstraße wurde während des Novemberpogroms 1938 zerstört, das Gemeindehaus bei späteren Bombenangriffen. Die letzten Hanauer Juden wurden 1942 in Vernichtungslager deportiert. Nach dem Krieg besuchten Juden, die wieder herzogen, die Gemeinde in Offenbach.

Große Feier geplant

Bis sich Anfang der 2000er Jahre eine kleine Gruppe zusammenschloss, die hier etwas Eigenes auf die Beine stellen wollte. Der Verband half, das Angebot auszubauen, von ersten Treffen über Religionsunterricht, ein Nachmittagsgebet bis zur Gründung der Gemeinde. Eine Heimat fand sie in der ehemaligen Zahnradfabrik Schwahn in der Wilhelmstraße. Fotos, Berichte und Dokumente an den Wänden zeigen einschneidende Ereignisse, auch die Deportation. Ein freudiges ist das Nachholen der „Chuppa“: Ältere Ehepaare, denen dies in der Sowjetunion verwehrt blieb, konnten in Hanau endlich jüdisch heiraten. Es sind bewegende Bilder.

Im Gemeindehaus gibt es eine koschere Küche und einen Versammlungsraum mit Klavier. Rabbiner der Gemeinde ist Shimon Großberg, der wie Pisarevska aus der Ukraine stammt. Großberg sagt, er lege neben der Weitergabe von Religion und Tradition großen Wert darauf, für eine gute Atmosphäre zu sorgen. Vor und nach den Gottesdiensten wird gekocht, geredet, Musik gemacht, alles gehe ineinander über. „Wir sitzen oft lange beisammen und arbeiten auch gut zusammen.“

Erfahrungen mit Antisemitismus mussten alle drei Gemeindevertreter machen, wenn auch nicht in Hanau. Großberg sagt gelassen, er sei in 20 Jahren „nur“ vier Mal angegriffen worden. Was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass er jede Attacke verurteilt. Aber dem Schwarzgurtträger, der sich zu wehren weiß, ist es wichtig, angstfrei zu bleiben und das vorzuleben. Und Antisemitismus mit Begegnungen und Gesprächen entgegenzuwirken.

Diese Anliegen hat auch der Offenbacher Dainow. In seiner Jugend wurde er manchmal beschimpft, einmal brach ihm jemand die Nase. Dainow machte dennoch keinen Hehl aus seinem Jüdischsein, blieb selbstbewusst, wehrte sich. Zuletzt habe der Antisemitismus wieder zugenommen, sagt der Sozialbetriebswirt. Umso wichtiger sei es, konsequent dagegen vorzugehen und sich zudem „zu öffnen, die Stadtgesellschaft anzusprechen, ihr unsere Religion näherzubringen“. Deshalb treffen Dainow und Großberg sich mit Schulklassen. Sie sprechen über das Judentum, Antisemitismus, aber auch über andere Themen und lachen miteinander. 2020 feiert die Gemeinde ihr 15-Jähriges und plant ein vielfältiges Programm, damit sich möglichst viele Leute begegnen.

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