13.08.2019

Kulturfestival „Tarbut“ der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden

Wiesbaden

Was ist jüdisches Leben? Darum soll es bei den Veranstaltungen ab dem 3. September gehen. Zum Programm gehören auch ein Blick nach Tel Aviv und verschiedene Vorträge.

„Ich bin selbst aufgewachsen in einem solchen Haus.“ Jacob Gutmark, 1938 in Tel Aviv geboren, war sozusagen ein Bauhaus-Kind und hat die für die Moderne so wichtige Architektur dort aus nächster Nähe erlebt. Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde erinnert sich auch noch, dass die Menschen während der Zeit von Rommels Afrikafeldzug in den Hauseingängen Schutz vor Bomben suchten. Einen Luftschutzkeller habe es nicht gegeben.

Die Architektur der israelischen Großstadt wird jetzt ins Wiesbadener Rathaus geholt: Anlässlich des 100. Bauhaus-Jubiläums zeigt die Jüdische Gemeinde, deren Kulturdezernent Jacob Gutmark auch ist, in Kooperation mit dem Kulturamt die Ausstellung „Weltkulturerbe Tel Aviv – Denkmalpflege in der Weißen Stadt“. Mit der Ausstellung wird am 3. September die Reihe „Tarbut – Zeit für jüdische Kultur“ eröffnet.

Beiträge zur lokalen Erinnerungskultur

Für Steve Landau, Geschäftsführer der Wiesbadener Gemeinde, ist die Architektur der „Weißen Stadt“ auch so wichtig, weil sie deutsch-jüdische Geschichte vereine. Viele europäische Architekten sind vor nationalsozialistischer Verfolgung ins damals britische Mandatsgebiet Palästina geflüchtet. Bei der Eröffnung der Ausstellung wird es aber nicht nur um Architektur gehen: Literatur und zeitgenössische Musik aus Israel sollen „einen Blick in die Lebenswirklichkeit inmitten eines legendären Architekturensembles“ ermöglichen.

Zur Tarbut-Reihe, die bis 15. Dezember eine Fülle interessanter Veranstaltungen bietet, gehört auch wieder eine Filmreihe. Der Titel „Tel Aviv on Fire“, der am 23. und 24. September gezeigt wird, spielt auf eine „Soap Opera“ an, „die jeden Abend Israelis wie Palästinenser vor die Glotze lockt“. Das neue Programm des „Jüdischen Lehrhauses“, das sich mit seinem Bildungsangebot ebenfalls an alle Interessenten an jüdischer Kultur und Geschichte wendet, beginnt schon früher als „Tarbut“. Am 25. August ist die Juristin Dorothee Lottmann-Kaeseler mit den Teilnehmern eines Rundgangs „Auf den Spuren jüdischen Lebens in der Wiesbadener Innenstadt“. Lehrhaus-Leiter Steve Landau nennt den Rundgang, der auch am Pressehaus vorbeiführt und in der Wagemannstraße an den Altwarenhändler Großhut erinnert, einen „Beitrag zur lokalen Erinnerungskultur“.

„Tarbut“-Reihe und „Jüdisches Lehrhaus“

Dazu gehört am 15. September im Rathaus-Festsaal auch ein Vortrag zum Thema „Jüdische Friedhöfe“. Sieben jüdische Friedhöfe mit insgesamt rund 4000 Grabanlagen gebe es in Wiesbaden, erzählt Landau und ist froh, dass es in Hessen einen Erlass gebe, nach dem jüdische Gräber wieder aufgestellt werden müssten. Das sei mittlerweile bei fast allen Gräbern der Fall. Bei der Veranstaltung im Vorfeld des „Tags des Friedhofs“ wird unter anderem Daniel Neumann referieren, der Direktor des Landesverbands der jüdischen Gemeinden in Hessen. Nach dem „Tag der offenen Tür“ in der Synagoge in der Friedrichstraße am 17. Oktober, einem Vortrag von Philipp Kratz über den nationalsozialistischen Oberbürgermeister Erich Mix, der von 1954 bis 1960 einen zweiten OB-Frühling erlebte, und weiteren Vorträgen wird Steve Landau selbst am 12. Dezember im Stadtarchiv „Einblicke in jüdisches Leben“ geben, „heute und damals“. Dabei möchte er „authentisch aufzeigen, wie jüdisches Leben heute funktioniert“. Kontraproduktiv findet Landau ein Cover des Magazins „Spiegel Geschichte“, das unter dem Titel des Hefts, „Jüdisches Leben in Deutschland“ und Untertitel „Die unbekannte Welt nebenan“ zwei alte Männer mit Hut, Bart und Schläfenlocken zeigt: ein historisches „Genrefoto“ aus dem Berliner Scheunenviertel des Jahres 1928. In dem Stadtbezirk hatten sich viele orthodoxe Ostjuden niedergelassen. Die Titelseite hat bereits Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kritisiert. Mit dem Titel bediene der „Spiegel“ Klischeevorstellungen, antwortete Schuster auf eine Anfrage der „Welt am Sonntag“: „Gerade in Deutschland trifft man kaum Juden an, die aussehen wie die beiden Männer auf dem Foto.“

Auch Steve Landau kann über diesen Titel nur den Kopf schütteln. Jüdisches Leben sieht er viel eher zum Beispiel in Jugendbetreuern verkörpert, „die vor Freude in die Luft springen“. Apropos Sprünge: Neben Koch- und Sprachkursen gehören auch „Israelische Tänze“ zum Kursprogramm des Lehrhauses. „Tanzen ist in Israel ein Volkssport“, sagt Landau, „da würde ich mir hier mehr Teilnehmer wünschen.“ Der Kurs in der Jüdischen Gemeinde beginnt am 4. November.

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