05.09.2024

„Zeit für jüdische Kultur“– in schwierigen Zeiten

Wiesbaden

Am 3. September beginnt die Wiesbadener Reihe „Tarbut“ mit der Ausstellung „Mischpoche“ im Rathaus: ein Gespräch mit den Veranstaltern auch über die Bedeutung, Gesicht zu zeigen.

Wiesbaden. Dass es schwierige Zeiten sind für die jüdische Gemeinschaft in einer wachsenden Bedrohungslage, sieht man jetzt auch der Friedrichstraße an: Dicke Poller sollen Wiesbadens Gemeinde vor Angriffen schützen. Die Maßnahmen seien letztlich eine Konsequenz des Anschlags auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019, erläutern Gemeinde-Geschäftsführer Steve Landau und Vorstand Jacob Gutmark im Gespräch.

Erstarkender Antisemitismus

Sie berichten aber auch von den Konsequenzen des Hamas-Terrorangriffs auf Israel am 7. Oktober 2023 und die Wirkung auf die junge Generation. Das offene Bekenntnis zum Judentum falle in einer Zeit des erstarkenden Antisemitismus auch im schulischen Kontext immer schwerer. Um so mehr freuen sich Gutmark, der auch Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde ist, und Steve Landau auf eine Ausstellung, in der es buchstäblich um das Zeigen des Gesichts geht. „Das Antlitz unseres Volkes ist sehr vielfältig“, betont Gutmark, „Pluralität ist etwas, das uns definiert“.

„Mischpoche“ ist der Titel der Ausstellung, die am 3. September um 19 Uhr im Rathaus-Foyer die Veranstaltungsreihe „Tarbut – Zeit für jüdische Kultur“ eröffnet und bis 12. September zu sehen ist. Während Mischpoche „im Jiddischen wertneutral verwendet wird, hat das Wort im Deutschen häufig eine abwertende Bedeutung“, heißt es auf der Webseite des Projekts. Also etwa „Sippschaft“ statt „Familie“.

Verhältnis zum Jüdischsein und zu Deutschland

Gezeigt werden Porträts des Fotografen Jan Zappner, der sich für ein Buchprojekt mit 29 Männern und Frauen in Deutschland getroffen hatte, um mit ihnen über ihr Verhältnis zum Jüdischsein und zu Deutschland zu sprechen. Darunter auch Persönlichkeiten aus der Region wie der Frankfurter Fotograf Rafael Herlich. „Ich spüre den ansteigenden Antisemitismus“, schreibt der Sohn eines Holocaust-Überlebenden, der seine Familiengeschichte auch in Schulen erzählt. „Ich bin froh, dass wir diese Ausstellung in dieser Zeit zeigen können“, sagt Landau. Um jüdisches Leben in Deutschland geht es auch im Buch „Sicher sind wir nicht geblieben“ von Laura Cazés, die am 6. November zur Lesung in die Gemeinde kommt.

Das Filmprogramm der Reihe beginnt am 4. September im Caligari mit einem „semifiktionalen Roadmovie“ von Leandro Koch und Paloma Schachmann: „In mir tanze ich – Das Klezmer-Projekt“. Der Film „Golda“ mit der fabelhaften Helen Mirren in der Rolle von Israels Premierministerin Golda Meir während des Jom-Kippur-Krieges im Jahr 1973 läuft am 15. und 18. September im Caligari. Gemeindevorstand Gutmark, 1938 in Tel Aviv geboren, erinnert sich noch daran, wie die „beeindruckende Dame“ mit ihrer charakteristischen Handtasche in Israel präsent war.

Starke Frauen in Israels Gesellschaft

Auch für Landau stand die Politikerin für die von Anfang an „in allen Lebensbereichen“ starke Position der Frauen in der israelischen Gesellschaft. Der Gemeinde-Geschäftsführer freut sich besonders auf die Vorpremiere des Films „Das Orchester“ von Yuval Hameiri und Michal Vaknin am 22. September. 100 Musikerinnen und Musiker treffen sich zur Probenarbeit und bereiten ein Konzert in Jerusalem vor.

Um ein aktuell brisantes politisches Thema geht es am 24. September: „Vereinte Nationen gegen Israel – Wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert“ ist die Lesung mit Alex Feuerherdt überschrieben. Die UNO fungiere „als institutionalisierte Bühne und als Verstärker für antiisraelische und antisemitische Ressentiments“, heißt es in der Ankündigung. Eine unrühmliche Rolle spielt für Landau Francesca Albanese als „UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete“. Nach einer Geiselbefreiung am 8. Juni hatte sie schwere Vorwürfe erhoben: Israel habe die Geiseln benutzt, um das Töten in Gaza zu legitimieren. „Manchen Dingen stehe ich sprachlos gegenüber“, sagt Landau. Die „Jüdische Allgemeine“ sah die Italienerin „auf antisemitischen Abwegen“.

Zu den vergleichsweise entspannenden Veranstaltungen der Reihe gehören die Konzerte. Etwa der Auftritt des „authentischen“ Klezmer-Ensembles „Dobranotch“ am 29. September. Eine Kooperation gibt es wieder mit der Murnau-Stiftung, in deren Filmtheater unter dem Motto „Koscheres Kino“ am 10. November „Soulfood – Familie geht durch den Magen“ gezeigt wird. Im Anschluss kann gemeinsam gegessen werden: ein Menü von Sohar‘s Kosher Restaurant aus Frankfurt. „Ich freue mich sehr, dass wir wieder eine Kooperation mit dem Literaturhaus haben“, sagt Landau über die Veranstaltung mit Olga Grjasnowa am 5. November in der Villa Clementine. Die Lesung wurde erst nach Drucklegung des Programms in die Reihe aufgenommen, ist aber online publiziert. Die deutsche Autorin mit russisch-jüdischen Wurzeln, 1984 in Baku in Aserbaidschan geboren, liest aus „Juli, August, September”.

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