Schreiner baut ein »Meisterwerk aus Holz und Ehrfurcht«
Manfred de Vries, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, war an Schreinermeister Rolf Hofmann mit der Aufgabe herangetreten, weil dieser zuvor bereits die Suka, die Laubhütte, gebaut hatte. Der Toraschrein aber war aber eine andere Herausforderung. Es ging immerhin um das Heiligste einer jüdischen Gemeinde. Im Toraschrein werden die fünf Bücher Mose aufbewahrt. Prunkvoll und würdig sollte der Schrein sein und zum Bauhausstil der Synagoge passen.
»Ich hatte schlaflose Nächte und wachte auf mit dem Gedanken: Wie bekommst du Bauhaus und Prunk unter einen Hut?«, erzählt Hofmann. Nachdem er den Platz des Schranks erkundet hatte, ging es an den Zeichentisch. »Mir war klar: So eine Chance bekommt ein Schreiner nur einmal im Leben. Das ist ein Heiligtum. Das musst du würdig behandeln. Nie hätte ich eine Spanplatte dafür verwendet.«
Hofmann sagt, dass er wenig vom Judentum und dem religiösen Hintergrund wusste. Umso intensiver waren die Vorgespräche. Eine Vorgabe für den Schrein, den die Gemeinde einfach »Schrank« nennt, ist die Ausrichtung nach Jerusalem. Die schweren Torarollen müssen auch so befestigt sein, dass sie nicht herausfallen. Außerdem muss man innen zwei schwere Samtvorhänge vorziehen können. Der Kantor gab dann noch die religiösen Symbole vor, die den Schrein außen zieren: Davidsstern und Menora, der siebenarmige Leuchter, sowie die Schrift.
In der Schreinerei nordete der Meister seinen Mitarbeiter Paul Riha und die Kollegen ein: »Ich möchte etwas besonders Gutes, sehr präzise Gearbeitetes haben. Denkt dran, wir haben es mit etwas Heiligem zu tun.« Das verstanden alle. Vier Wochen arbeiteten sie an der Ausführung. Zwei Tage dauerte dann der Einbau. Hofmann wählte Bubingaholz aus Kamerun für die Fronten aus: »Das ist besonders hart, schwer zu bearbeiten, aber auch sehr widerstandsfähig, vielleicht symbolisch für die Gemeinde.« Die feine Maserung läuft aus jeder Richtung auf den Davidsstern zu und gibt der Front damit Tiefe. Die goldenen, aufgesetzten Zierleisten korrespondieren mit der Steinwand, in die der Schrank eingebaut ist, und wirken wie edler Schmuck. Damit der Blick der Gläubigen auf den Schrank fällt, musste Hofmann die Proportionen beachten und wendete, wegen der Schrift leicht verschoben, den Goldenen Schnitt an.
Die Verbindung zum Bauhausstil gelang ihm durch kleine Leistenstriche zwischen den Sternelementen. »Insgesamt waren es 140 kleine Stäbchen mit fünffachem Lackauftrag: Grundierung, rotbrauner Lack, transparenter Sperrgrund, goldene Farbe, Klarlack.« Im separaten Unterteil des Schranks versteckte der Schreinermeister Fächer.
Eine Überraschung zum Neujahrsfest
Wenn de Vries jetzt die grifflosen Schiebetüren öffnet, leuchten seine Augen: Kein Vorhang fällt ihm mehr auf die Füße, die prächtigen Torarollen stehen sicher, in den Seitenteilen sind die bestickten Hüllen in Fächern verborgen. Eine schmale, dimmbare Lichtleiste im Rahmen verleiht dem Heiligtum zusätzliche Aufmerksamkeit.
»Das ist ein Kunstwerk«, lobt de Vries den Meister. Und der weiß in aller Bescheidenheit, dass es gelungen ist. »Dazu gehört Liebe zum Detail und Muße. So etwas muss reifen und mit einer gewissen Ehrfurcht entstehen«, sagtz Hofmann.
Während der Planung und des Baus haben sich die Gemeindemitglieder weiter über den verfallenen alten Schrank geärgert, denn niemand wusste von dem Neubau. Erst zum jüdischen Neujahrsfest am 25. September wurde der neue Schrank sichtbar und geöffnet. Eine große Überraschung für die Gemeinde. »Irgendwann werden wir auch das wiederentdeckte runde Fenster hinter dem Toraschrank freilegen, mit dem der Erbauer der Synagoge ein besonderes Licht gezaubert hat«, sagt de Vries und zwinkert Hofmann zu: »Natürlich nutzen wir dazu das lokale Handwerk, denn wir sind ja eine Gemeinde mitten in der Wetterau.«