06.10.2023

Am Landgericht: Jüdische Kulturwochen Hanau eröffnet

Hanau

Zum dritten Mal veranstaltet die Jüdische Gemeinde Hanau die „Jüdischen Kulturwochen Hanau“, die in diesem Jahr von September bis Dezember ein vielfältiges Programm liefern. Zur Eröffnung derer lud die Gemeinde in das Foyer des Hanauer Landgerichts ein, das mit knapp 90 Gästen auf reichlich Interesse traf.

„Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass diese Veranstaltung bis auf den letzten Platz gefüllt ist“, bemerkte Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky und sah darin ein Zeichen dafür, dass die Kulturwochen in der Stadtbevölkerung angenommen werden würden.

Flucht, Exil und Ermordung im Nationalsozialismus

Neben dem offiziellen Start der dritten „Jüdischen Kulturwochen“ wurde gleichzeitig ihr erster Programmpunkt, die Ausstellung „Jüdische Juristinnen und Juristinnen jüdischer Herkunft“, eröffnet. Die Ausstellung, die bis zum 3. November im Foyer des Hanauer Landgerichtes zu sehen ist, zeigt das Leben von 17 Juristinnen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Ihre jüdische Religion, beziehungsweise die ihrer Vorfahren, habe bei vielen lange keine Rolle gespielt, bemerkte die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Ursula Matthiessen-Kreuder, die die Ausstellung vorstellte. Erst die nationalsozialistische Zuschreibung als „jüdisch“ habe dazu geführt, dass sich die Juristinnen je nach individueller Biografie auf die Flucht und ins Exil begeben mussten, untertauchten, sich das Leben nahmen, in Konzentrationslagern ermordet wurden, manche mitunter aber auch später nach Deutschland zurückkehrten.

Als besonders bemerkenswerte Biografie, die die Ausstellung zeigt, benannte der hessische Justizminister Roman Poseck in seinem Grußwort jene von Erna Scheffler, der ersten weiblichen Richterin am Bundesverfassungsgericht, und auch die von Elisabeth Selbert, die an der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligt war und unmittelbar mitverantwortlich für dessen Artikel 3 ist, der die Gleichheit der Geschlechter festschreibt.

Das juristische Versagen des jungen Bundesrepublik

Dass die Geschichten der 17 Juristinnen im Foyer des Landgerichts ausgestellt sind, wurde auf der Eröffnungsveranstaltung mehrfach positiv hervorgehoben. So bemerkte Frank Richter, der Präsident des Landgerichts, dass die Ausstellung Frauen zeige, die an ein Rechtssystem geglaubt hätten und darin enttäuscht worden seien. Da am Landgericht selbst Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ausgebildet werden, sei es besonders wichtig, an einem solchen Ort an diese Enttäuschung zu erinnern. Claus Kaminsky fügte hinzu, dass sich das Landgericht schon länger mit der jüdischen Vergangenheit der Justiz in Hanau beschäftige. So sei hier bereits 2017 eine Gedenktafel im Eingangsbereich aufgestellt worden, die an elf jüdische Hanauer Juristen erinnere, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Justizminister Poseck ergänzte zudem die integrale Rolle der Justiz im Nationalsozialismus und wies auf das juristische Versagen auch noch in der jungen Phase der Bundesrepublik hin, in der es nicht gelungen sei, die Verbrechen der Nationalsozialisten angemessen zu bestrafen.

Darin, dass es sich bei der Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland aber nicht nur um ein „Gespenst der Vergangenheit“ handle, wie Claus Kaminsky sagte, sondern der Antisemitismus auch heute noch allgegenwärtig sei, waren sich die Rednerinnen und Redner einig. So sprach Justizminister Poseck von einem rechten Erstarken, dass die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wahlweise mit den Vokabeln des „Denkmals der Schande“ oder des „Vogelschisses“ versehen würden.

Dainow: Grenzen des Sagbaren werden verschoben

Dass die Grenzen des Sagbaren immer mehr verschoben werden, bemerkte auch Oliver Dainow, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau, der kritisierte, dass die Verwendung des Begriffs der Demokratie häufig dann falle, wenn er in die eigene Erzählung passe. Etwa, wenn man bei antisemitischen Äußerungen die Meinungsfreiheit für sich reklamiere. Dass solche Äußerungen an der Tagesordnung sind, unterstrich er mit dem Bericht eines kürzlichen Vorfalls am 5. September, als eine Gruppe von Schülern beim Besuch des Oppenheim-Denkmals am Freiheitsplatz einem Mann begegnete, der mitten in Hanau mit nationalsozialistischen Parolen und Gesten auf sich aufmerksam gemacht habe.

Umfangreiches Programm

Diesen gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Tendenzen sollen die „Jüdischen Kulturwochen Hanau“ entgegenwirken. Ein umfangreiches Programm, das unter anderem ein Zeitzeugengespräch mit Ivar Buterfas-Frankenthal (19. Oktober), eine Führung über den historischen jüdischen Friedhof in Hanau (15. Oktober) und einen Tag der offenen Tür der Jüdischen Gemeinde Hanau (21. November) anbietet, soll Dainow zufolge über die jüdische Kultur und ihre Vielfalt informieren.

Oberbürgermeister Kaminsky bemerkte zudem, dass Hanau ein Ort sei, der seit dem Mittelalter durch das Zutun von Graf Philipp Ludwig II. eine jüdische Gemeinde beherbergt habe, und dass es für die Stadt ein Glück sei, dass Jüdinnen und Juden „nach dem furchtbaren Teil der Geschichte wieder in Hanau eine Heimat gefunden haben“, womit er auf das mittlerweile fast 20-jährige Bestehen der jüdischen Gemeinde in Hanau anspielte.

Dainow: Wer Minderheiten angreift, greift die Demokratie an

Justizminister Poseck bemerkte abschließend, dass es wichtig sei, mit Angeboten wie der „Jüdischen Kulturwoche“ fortwährend an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern. Dainow gab ergänzend zu verstehen, dass ein elementarer Bestandteil dafür aber gleichzeitig die Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen jüdischen Leben in Deutschland sei: „Wenn Minderheiten immer und immer wieder angegriffen werden, wird die Demokratie angegriffen. Um dem entgegenzuwirken, braucht es Inhalte, um eine Haltung einzunehmen.“

Reichlich Inhalte dafür liefern in nächster Zeit die „Jüdischen Kulturwochen“. Ein vollständiger Überblick über die Veranstaltung findet sich unter www.juedische-kulturwochen-hanau.de.

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