Antisemitismus in allen Milieus: Mit der Ausstellung „Ja, DAS ist Antisemitismus“ sind am Donnerstagabend in der Eugen-Kaiser-Schule die jüdischen Kulturwochen eröffnet worden
„Die Ausstellung soll Dialoge anstoßen“, forderte Oliver Dainow, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Hanau. Susanne Urban, Leiterin der RIAS, betonte, die Zahl der antisemitischen Vorfälle habe sich seit 2022 vervielfacht. Erschreckend sei zudem der wachsende Antisemitismus in Bildungseinrichtungen von der Kita bis zu den Universitäten, so Urban. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich die Situation in den vergangenen zwei Jahren so ändert“, sagte Dainow zur Eröffnung der Kulturwochen. Mit dem 7. Oktober vergangenen Jahres, dem Tag des Massakers der Hamas an Juden in Israel, habe zudem eine neue Zeitrechnung begonnen. Von vielen Menschen hätten die Juden Solidarität erfahren, aber – „ein unangenehmes Aber“ – der Hass auf Juden überwiege, so Dainow.
Hanaus Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri (SPD) erinnerte an die Leistung von Menschen jüdischen Glaubens in der deutschen Kultur. Er erklärte daher auch: „Die Zukunft ist Optimismus.“ Wenig Anlass zu Optimismus gab gleichfalls RIAS-Leiterin Urban, die dieser Tage von der Marburger Philipps-Universität zur Antisemitismusbeauftragten ernannt wurde. „Jüdische Perspektiven werden bagatellisiert oder relativiert“, sagte sie. „Wo bleibt hierzulande die Empathie?“, fragte Urban. Kritik an der israelischen Regierung sei am Ende immer eine am „jüdischen Kollektiv“. Für Urban geht der Antisemitismus in Deutschland nicht allein von den typischen gesellschaftlichen Ecken aus. „Antisemitismus ist in allen gesellschaftlichen Milieus zu Hause. Das heißt, keiner kann sich wegducken.“ Auch Kunst und Kultur könnten sich von diesem Vorwurf nicht ausnehmen, dies habe sich etwa vor zwei Jahren eindrücklich bei der Documenta 15 in Kassel gezeigt, so Urban.
„Ja, DAS ist Antisemitismus“ nimmt auch diesen Eklat auf. Urban erklärte, man habe sich bei der Konzeptionierung vor mehr als einem Jahr dazu entschieden, nicht die hinlänglich bekannten Klischees von Judenhass darzustellen. Es sollen die Betroffenen zu Wort kommen, darunter auch die Künstlerinnen und Comic-Zeichnerinnen Büke Schwarz und Sophia Hirsch, die authentische antisemitische Vorfälle in Comics mit Sprechblasen wiedergeben, die alles andere als heitere Texte beinhalten.
Etwa eine Szene zur Kasseler Kunstschau: „Natürlich sind keine Juden auf der Documenta. Die erschießen gerade Palästinenser“, gibt einer der Protagonisten auf dem Comic-Strip von sich. Antisemitismus äußere sich im Alltag auf vielfältige Weise, mit Aufklebern bis hin zur tätlichen Gewaltandrohung, sagte Urban. Zwischen 2022 und 2023 sei die Zahl der antisemitischen Vorfälle von 178 auf 528 gestiegen – und das seien nur die gemeldeten Fälle. Betroffene würden über Zwischenfälle oft lieber schweigen, um das Geschehene in der Aussage etwa vor der Polizei nicht noch einmal wiederholen zu müssen, so die RIAS-Chefin. Vom Ausweichen und Verstecken berichtete auch Dainow.
Nicht wenige Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Hanau bleiben mittlerweile Veranstaltungen im Gemeindehaus wie Treffen oder den Gottesdiensten aus Angst fern, trotz Polizeipräsenz. Das Vertrauen habe sich auch mit dem neu aufgestellten Sicherheitskonzept nicht wieder eingestellt. Oft halte schon die Furcht, auf dem Weg zum Gemeindehaus beobachtet zu werden, die Leute ab, so Dainow. Dies betreffe jedoch nicht allein die Erwachsenen in der Gemeinde: Schüler aus jüdischen Familien würden sich nun nicht mehr „als Juden outen“. Dainow kritisierte zudem die Anti-Israel-Proteste und Äußerungen an Schulen. „Wir sehen hilflose Lehrer“, sagte er.
Schulleiterin Martina Schneider machte hierzu Hoffnung: Das Hessische Kulturministerium habe reagiert und eine Lehrerbroschüre zum Umgang mit Antisemitismus in der Klasse herausgegeben. „Wir müssen den Antisemitismus bekämpfen, er ist eine Gefahr für eine offene und demokratische Gesellschaft“, warnte Schneider.
(Quelle: Hanauer Anzeiger vom 12.10.2024, Seite 12)