11.11.2024

»Jüdisches Leben bewahren«

Bad Nauheim

Die Pogromnacht am 9/10. November 1938 war der Anfang einer unvorstellbaren Gewalt gegen Juden. Adolf Hitler und die Nationalsozialisten hatten sich vorgenommen, das jüdische Volk vollständig zu vernichten. Viele Juden wurden in Konzentrationslager gesperrt und getötet. Bis zum Ende der Nazi-Herrschaft wurden in Europa mehr als sechs Millionen Juden ermordet.

Zur Erinnerung daran war der Gedenkstein, am Standort der ehemaligen jüdischen Synagoge, in der Wetzlarer Straße erneut Treffpunkt der Gedenkveranstaltung der Stadt Butzbach am Jahrestag der Reichspogromnacht 1938. Und etwa 100 Butzbacher verschiedener Altersgruppen waren der Einladung gefolgt und nahmen an der Gedenkstunde teil.

Bürgermeister Michael Merle erinnerte daran, dass in vielen deutschen Städten und Gemeinden, auch in Butzbach, damals Synagogen in Flammen aufgingen. »Hier«, so Merle, »an dem heutigen Synagogenplatz, an dem diese Gedenkveranstaltung stattfindet, hatten die nationalsozialistischen Machthaber nicht nur dafür gesorgt, dass die Butzbacher Synagoge angezündet war, sondern die herbeigerufene Feuerwehr den Wasserstrahl ihrer Schläuche nur auf die Nachbarhäuser der Synagoge richtete. So wurde die Butzbacher Synagoge ein Raub der Flammen.«

Synagoge in Pohl-Göns gestalten

Merle schilderte, dass wenige Wochen später die Gemeindevorstandsmitglieder den Verkaufsvertrag über das Synagogengrundstück im Konzentrationslager Buchenwald hatten unterzeichnen müssen. In Pohl-Göns sei das Niederbrennen der Synagoge nicht umgesetzt worden, da die angrenzende Schreinerei davon bedroht gewesen wäre, ebenfalls in Flammen aufzugehen.

Die Stadt habe die Pohl-Gönser Synagoge im Sommer dieses Jahres erworben. Am Samstag, »86 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen im November 1938« hätten dort Vertreter der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim aktiv an der Gestaltung einer Gedenkfeier mitgewirkt. »Gemeinsam haben wir der Synagoge einen Teil ihrer Würde zurückgegeben. Eine Würde, die den Bürgern jüdischen Glaubens in den Jahren 1933 bis 1945 genommen und geraubt wurde«, so Merle. Die begangenen »Akte des Unrechts und der Verfolgung an unseren jüdischen Mitbürgern stehen stellvertretend für die Herrschaft des Unrechts und der Diktatur, die sich seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten mit dem 30. Januar 1933 in ganz Deutschland ausbreitete.«

Das Konzentrationslager Auschwitz stehe, so Merle, stellvertretend für diesen Zivilisationsbruch, für ein ganzes, europaweites System von Mordfabriken. Die Worte und literarischen Zeugnisse von Schriftsteller Primo Levi »mahnen uns heute erneut, nicht nur wachsam zu sein, sondern uns alle, aktiv gegen Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen. Hass, Antisemitismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit sind das Geschäftsmodell rechtsextremistischer Parteien«, so Merle.

»Deren hohe Wahlergebnisse »müssen uns allen eine Warnung sein, denn sie gedeihen in einem gesellschaftlichen Klima des Hasses und der Verrohung«. Alle Demokraten seien dazu aufgefordert, sich »für den Erhalt und Fortbestand unseres demokratischen Gemeinwesens einzusetzen«. Und Merle appellierte an die Zuhörer: »Lassen Sie uns gemeinsam jüdisches Leben, Kultur und Religion bewahren, fördern und unterstützen«

Manfred de Vries, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, dankte den Menschen, die zu der Gedenkstunde erschienen waren, für ihr Kommen und das damit verbundene Engagement gegen das Vergessen der Shoah. Er nahm Bezug zum Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel und die daraus resultierenden Reaktionen. De Vries betonte, dass Israel das Recht habe, sich zu verteidigen.

Für Integration statt Ausgrenzung

In der Andacht, die Patrick Wach, Gemeindereferent der Pfarrei Sankt Gottfried Butzbach, und Pfarrer Jörg Wiegand von der evangelischen Markus-Kirchengemeinde gestalteten, sagte Wach, dass man nicht vergessen, sondern ein Zeichen setzen solle, dass man sich die Zeit nehmen solle, derer zu gedenken, die vernichtet wurden wegen einer menschenverachtenden Ideologie, derer, die nicht in Freiheit leben und noch nicht einmal erwachsen werden durften. Er plädierte für Integration statt Ausgrenzung.

Wiegand schilderte, dass ihn neben dem Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus vor allen Dingen der Krieg in Europa und im Gazastreifen beschäftige. Er zitierte Franz von Assisi mit dem Gebet: »Herr Jesus Christus, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens.«

Nach einem Gebet der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim verlasen auch in diesem Jahr wieder Schüler der Weidigschule die Namen der getöteten Butzbacher und zündeten Kerzen an. Anschließend wurden symbolisch Kränze an der Gedenkstätte niedergelegt.

(Quelle: fnp.de)

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