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13.10.2025

Bewegende Feier für die "Braut"

Gießen

© Marc Schäfer
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© Marc Schäfer
© Marc Schäfer

Die Jüdische Gemeinde Gießen hat im Rahmen einer großen Feier ihre neue Tora eingeführt. Zahlreiche Spender hatten geholfen, damit innerhalb kurzer Zeit eine neue Gebetsrolle in die Gemeinde einziehen konnte.


Ein sichtlich ergriffener und auch ein wenig erschöpfter Dow Aviv hielt sich beim Weg vom Netanya-Saal zur Synagoge eher im Hintergrund. »Jetzt ist es ein Selbstläufer«, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gießen lachend. Soll heißen: Nachdem die Tora ihren Weg in die Synagoge gefunden hat, gibt es noch einige Grußworte und dann wird gefeiert.

Und damit endet für ihn eine lange und durchaus aufregende Zeit, wie er zuvor vor zahlreichen Gästen im proppenvollen Saal im Erdgeschoss des Alten Schlosses erzählt hatte. Von Diskussionen mit dem Zoll über die Frage, wie die Tora, die in Israel von einem sogenannten Sofer geschrieben worden ist, nach Deutschland gelangen kann. Am Ende ging alles gut - und die Tora ist heil nach Gießen gekommen.

Im Netanya-Saal balancierte die Stimmung zwischen Ergriffenheit angesichts dieses wichtigen Ereignisses und purer, ausgelassener Freude. Alles untermalt mit Kletzmer-Klängen des Roman Kuperschmidt-Quartetts aus Frankfurt.

Die abenteuerliche Reise einer Tora

Doch bei aller Vorfreude waren auch die Personenschützer im und vor dem Raum nicht zu übersehen, die dafür sorgten, dass die Veranstaltung möglichst ohne Zwischenfälle über die Bühne gehen konnte. Zudem hatten sich vor dem Alten Schloss Polizisten in Mannschaftsstärke versammelt. »Eigentlich schade, dass das notwendig ist«, raunte eine Besucherin ihrer Begleiterin zu.

Doch bevor es ans wirklich ausgelassene Feiern gehen konnte, hatten einige Besucher noch eine besondere Ehre. Denn traditionell werden die letzten Buchstaben auf der Pergamentrolle, die auf hölzernen Stäben aufgezogen ist, nicht in Gänze geschrieben, sondern von besonders verdienstvollen Spendern ergänzt.

20 Männer und Frauen wurden demnach gestern nach vorne gerufen, um Sofer Mordechai Tauber bei seiner diffizilen Arbeit zu unterstützen. Selbst schreiben durften sie hingegen nicht. Sie haben eher symbolisch die Hand des Schreibkundigen gehalten und eine Urkunde für ihr Engagement bekommen. Zu ihnen gehörte unter anderem der frühere hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher und Marion Balser, Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Gießen-Netanya.

Wie Dov Aviv in seinen einführenden Worten erläuterte, darf der Schreiber beim Erstellen der Tora keinen Fehler machen. »Da gibt es kein TippEx«, formulierte er es launig in die Kameras. Wenn sich der Sofer nur ein einziges Mal verschreiben sollte, dann ist die Tora unbrauchbar und er muss von vorne beginnen und zwar mit Federkiel und Tintenfass. Auch darf das Pergament nicht mit bloßen Händen berührt werden, weshalb ein silberner Stab als Lesehilfe genutzt werde, wie Aviv erläuterte. Der Schreiber selbst war in einen glänzenden schwarzen Mantel gehüllt und wischte sich ab und an das Gesicht mit einem Tuch, damit keine Flecken das kostbare Schriftstück gefährden konnte.

Kein einziger Fehler erlaubt

Am Ende ging dann alles gut. Die letzten beiden Buchstaben wurden auf Zuruf in die Runde vergeben und gegen namhafte Spenden vollendet. Dieter Steil, der viele Jahre die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit geführt hat, sowie Frank Kontz, Stadtrat aus Wetzlar, waren die Glücklichen. Alle »Schreiber ehrenhalber« wurden mit einer Urkunde bedacht. Auf ihr war auch festgehalten, wie oft »ihr« Buchstabe in der ganzen Tora vorkommt.

Über allem schwebte gestern Nachmittag die große Freude über die »Braut«, die sich eigens hübsch gemacht hat. »Wie für eine Hochzeit«, erzählt Aviv. Das Schriftstück wurde in die Höhe gehalten, damit es alle sehen konnten. Abschließend eingerollt, mit Krone und Schmuck versehen und heimgetragen.