12.11.2014

„Gedenken an Opfer, keine Parteipolitik“

Gießen

„Derzeit gibt es bei einem Fünftel der deutschen Bevölkerung einen latenten Antisemitismus“, sagte Dow Aviv, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Gießen, am Sonntagabend am Berliner Platz. Dort startete der Mahngang zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht, den das heimische „Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus“ organisiert hatte.

Rund 200 Teilnehmer machten beim Marsch in der Innenstadt Station an geschichtlich relevanten Orten der Pogromnacht vom 9./10. November 1938. „Die Reichspogromnacht war der Beginn der Shoah“, erklärte Aviv. Das Gedenken erinnere an den Tag und die Nacht, als in Deutschland Hunderte Synagogen brannten. Jüdische Geschäfte wurden zerstört und Mitbürger terrorisiert, verhaftet und zum Teil auch ermordet.

„Diese Nacht war der Beginn der menschenverachtenden und barbarischen Handlungen des deutschen Volkes“, erklärte der Gemeindevorsitzende. Rassismus und Antisemitismus seien in Deutschland jedoch keineswegs Vergangenheit. Rassismus und Judenfeindlichkeit dürften jedoch in der Gesellschaft keinen Platz haben. Sie müsse von Toleranz geprägt sein, betonte Aviv vor dem Start des Mahngangs.

Eine der Stationen war das Haus Neuen Bäue 23, wo an Moritz Herz, seine Familie und das von ihm geführte Bankhaus „Herz & Co.“ erinnert wurde. Mit seinen Angehörigen wurde er im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Das Gebäude hatte zwischenzeitlich die Gestapo übernommen. Weitere Haltepunkte waren unter anderem die Steinstraße, wo sich bis zu den Zerstörungen der Pogromnacht eine Synagoge befunden hatte, und die Goetheschule. Hier hatte die Gestapo 1942 jüdische Mitbürger inhaftiert, die wenige Tage später per Güterzug in die Konzentrationslager gebracht wurden. An den einzelnen Stationen erläuterten Vertreter von Organisationen wie dem heimischen „Bündnis gegen Rechts“ die geschichtlichen Hintergründe der Naziverbrechen, an denen sich „ganz normale Deutsche“ beteiligt hätten.

Bereits am Berliner Platz hatte das Bündnis eine Erklärung verteilt. Darin wird die Organisation des Mahnganges begründet: „In den letzten Jahren ließ sich leider beobachten, dass der Mahngang immer wieder einseitig zu parteipolitischen Zwecken instrumentalisiert wurde und damit eine Überlagerung und Überformung des Gedenkens durch diese Ambitionen stattfand.“ Er sei letztlich zu „einer Bühne für parteipolitische Bestrebungen“ geworden, dem Bündnis sei jedoch daran gelegen, an das Leid der jüdischen Mitbürger zu erinnern.

Den ausführlichen Artikel über den Mahngang zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht finden Sie auf den Seiten des Gießener Anzeigers.

  

(Bildquelle: Giessener-Anzeiger.de)

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