17.11.2014

Ein Lichtblick in der Nachkriegszeit: die Christlich-Jüdische Gesellschaft Darmstadt feiert ihren 60. Geburtstag in der Stadtkirche

Darmstadt

Vor sechzig Jahren war Darmstadt ganz mit sich selbst beschäftigt. Zehn Jahre nach der Zerstörung befand sich die Stadt mitten im Wiederaufbau. Und im Wirtschaftswunder. Da innezuhalten und sich der unter den Nazis begangenen Gräuel zu erinnern, war nicht selbstverständlich. In den Reden zum sechzigjährigen Bestehen der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wurde dies hervorgehoben.

Die Darmstädter Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wurde 1954 als fünfte in Hessen gegründet. Am Samstag würdigten Vertreter der beiden christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde das bisher Erreichte.

Durch die evangelische Stadtkirche hallten die markerschütternden Klänge eines Widderhorns – Schofar genannt –, das in der jüdischen Liturgie eine herausragende Rolle spielt. Mit diesem akustischen Signal begann die dreistündige Festveranstaltung, in der zahlreiche Redner die Entwicklung der Darmstädter Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit kommentierten. Ihre Gründung vor 60 Jahren wurde als Lichtblick in der Nachkriegszeit bezeichnet.

Eindrucksvoll war die musikalische Melange aus Klezmer- und Kirchenmusik, ein sensibler Zusammenklang von Klarinette (mitreißend gespielt von Irith Gabriely) und Orgel (Joachim Dumeier). Der erstmals in einer christlichen Kirche auftretende Chor der jüdischen Gemeinde unter Leitung von Aviva Steinitz erinnerte mit dem Psalm „Der Herr ist mein Hirte“ an die Verwandtschaft der unterschiedlichen Religionen.

„Die Gründung war mutig“

„Die Wirtschaft boomt, was kümmern uns die toten Juden?“ Mit diesem provozierenden Satz beschrieb Oberbürgermeister Jochen Partsch die Stimmung von 1954, dem Gründungsjahr der Gesellschaft. Die Gräuel der Nazizeit lagen nicht einmal zehn Jahre zurück, und die ehemals große jüdische Gemeinde in Darmstadt war stark ausgedünnt. In dieser stürmischen Zeit des wirtschaftlichen Aufbaus sei es mutig gewesen, eine Gesellschaft zu gründen, die sich die Aussöhnung zwischen Christen und Juden zum Ziel gesetzt und sich verpflichtet habe, gegen Judenhass und Antisemitismus einzuschreiten.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit trage einen großen Teil zur Erinnerungskultur in dieser Stadt bei, lobte Partsch. Ihrem Engagement sei es mit zu verdanken, dass die jüdische Gemeinde in Darmstadt auf 700 Mitglieder angewachsen sei und einen wunderbaren Chor besitze.

Doch wie dünn der Firnis sei, habe in diesem Sommer eine neuartige Judenhatz in ganz Europa gezeigt. „Ausgrenzung aufgrund von Verschiedenheit schadet uns allen. Es ist ein Angriff auf das Menschsein“, warnte Partsch. Zwar sei es heute einfacher als 1954, die Ziele der Gesellschaft zu vertreten, aber noch immer genauso notwendig.

1954 war Moritz Neumann, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Darmstadt und Landesvorsitzende der jüdischen Gemeinden in Hessen, sechs Jahre alt. Er erzählte, dass er, der jüdische Junge aus der stockkatholischen Stadt Fulda, in einem von Nonnen geleiteten Kindergarten christliche Lieder lernte. Dies sei für ihn ein frühes Beispiel von funktionierender, damals nicht selbstverständlicher christlich-jüdischer Zusammenarbeit gewesen.

Er habe sie allerdings mehr als friedliche Koexistenz empfunden. So sei es auch später lange gewesen: keine Waffengleichheit, und Augenhöhe nur in Bezug auf die gute Absicht.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit habe viele Lektionen abarbeiten müssen. Doch mit der Einweihung des Neubaus der Synagoge vor einem Vierteljahrhundert sei vieles sichtbar anders geworden. Mit diesem Gotteshaus habe die Stadt auch sich und der christlichen Bevölkerungsmehrheit einen Gefallen getan, sagte Neumann.

Den ausführlichen Artikel über die Feierleichkeiten zum 60. Geburtstag der Christlich-Jüdischen Gesellschaft in Darmstadt finden Sie auf den Seiten von Echo-Online oder in unseremArchiv (PDF, 70KB).

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