Wegen „unangemessener Musik“: Vertreter der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden verlassen Ausstellung
Wenn das Thema der Wanderausstellung, die bis zum 27. Januar dort zu sehen ist, „Die Ofenbauer von Auschwitz“ lautet, dann kann man die Verabreichung von Wein und Backwerk jedoch durchaus als Geschmacklosigkeit empfinden. Kann man zwischen den Schautafeln zum industriell betriebenen Massenmord schlendern, von der auf Schreibtische rieselnden Asche lesen und in diesem Umfeld leibliche Bedürfnisse stillen?
Jakob Gutmark, der Vorsitzende des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden, und Steve Landau, der Geschäftsführer der Wiesbadener Gemeinde, haben die Musik nicht ertragen und die Eröffnung verlassen. Auch er habe Familienmitglieder in den Öfen von Auschwitz verloren, sagt Gutmark im Gespräch nach der verunglückten Eröffnung, und die Klezmermusik, um die sich das (die Fröhlichkeit im Namen führende) „Trio i Giocosi“ bemüht hat, sei eine selbst im Moll-Bereich doch „überwiegend heitere“ Hochzeitsmusik, „die uns nicht angemessen schien“.
Er sei aber nicht empört oder gekränkt und sehe auch keinen Skandal, betont der Landesvorsitzende. Er erlebe es oft, dass Menschen guten Willens aus Unwissen falsche Entscheidungen treffen. „Das Thema bewegt uns“, sagt Gutmark zur Ausstellung, die nach Auschwitz und Mainz nun in Wiesbaden zu sehen ist.
Es geht um die Erfurter Firma Topf & Söhne als Beispiel für die „Rolle der Privatwirtschaft im Räderwerk des Holocaust“, wie Oberbürgermeister Sven Gerich in seinem Grußwort formuliert. Auch Hessens Landeshauptstadt spielt in der Firmengeschichte eine Rolle: Nach dem Krieg und dem Freitod seines Bruders Ludwig hat Ernst Wolfgang Topf versucht, den Betrieb in Wiesbaden neu aufzubauen. 1951 erfolgte der Eintrag ins Handelsregister. Ermittlungen wegen Beihilfe zum Mord waren zuvor eingestellt worden. Seine Haltung, dass er nicht über den wirklichen Verwendungszweck der Öfen informiert war, konnte nicht widerlegt werden. Ausstellungsdokumente, die den fleißigen Einsatz von Mitarbeitern wie Karl Prüfer vor Ort belegen, lassen das freilich als groteske Ausflucht erscheinen.
Der Erinnerungsort Topf & Söhne auf dem ehemaligen Firmengelände in Erfurt hat die Firmengeschichte aufgearbeitet und die Wanderausstellung konzipiert. Schriftwechsel belegen in erschreckender Weise, wie Ingenieure die Mordmaschinerie mit ihren Ideen effizienter gemacht haben. „Hier verbindet sich Industriegeschichte mit Massenmord“, sagt Annegret Schüle vom Erinnerungsort in ihrer Einführung: „Das Menschheitsverbrechen geht eine Verbindung mit zivilem Arbeitsalltag ein.“ Dabei hätte Topf & Söhne die Geschäfte mit der SS gar nicht nötig gehabt: Mit knapp zwei Prozent sei dieser Anteil am Umsatz „verschwindend gering“ gewesen.
„Es tut mir sehr leid, und ich kann das schon verstehen“, sagt Sabine Philipp, die Direktorin der Stiftung Stadtmuseum Wiesbaden, zum vorzeitigen Aufbruch von Jakob Gutmark und Steve Landau. Diese möchten sich die Ausstellung übrigens zu einem späteren Zeitpunkt anschauen.