30.09.2018

Was der Landesvorsitzende der Jüdischen Gemeinden von den Juden in der AfD hält

Wiesbaden

In Offenbach soll am Samstag eine Vereinigung von Juden in der AfD gegründet werden. Der Organisator ist Stadtverordneter in Wiesbaden.

Im Gespräch mit der Frankfurter Neuen Presse geht der Landesvorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hessen, Jacob Gutmark, auf Distanz zu dem Vorhaben. Der Initiator sei auch gar nicht Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden, sagt er. Politisch wirft den Gründern der Vereinigung vor, „unter falscher Flagge zu segeln“.

Ist der Initiator der geplanten Gründung einer Vereinigung von Juden in der AfD, Dimitri Schulz. in der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden aktiv, deren Vorstand Sie ja auch angehören?
JACOB GUTMARK: Nein, ist er nicht aktiv. Er ist auch gar kein Mitglied unserer Gemeinde und meines Wissens auch in keiner anderen Jüdischen Gemeinde in Hessen. Ich habe ihn erst vor zwei Wochen kennengelernt, als er unter den Gästen einer Feier unserer Gemeinde zu einem jüdischen Feiertag war. Wir weisen ja niemandem die Tür, sofern er nicht kriminell ist.

Hat er bei dem Besuch angekündigt, dass er eine Vereinigung von Juden in der AfD gründen will?
GUTMARK: Nein, das hat er nicht. Ich wurde von der beabsichtigten Gründung Tage später überrascht. Mit mir hat niemand gesprochen. Ich kenne auch keine Juden in Hessen, die in der AfD sind. Wenn es überhaupt welche gibt, haben sie sich bislang nicht zu erkennen gegeben.

Was halten Sie denn von der geplanten Gründung der Juden in der AfD?
GUTMARK: Über die Gründe kann ich nur spekulieren. In der Rednerliste der Veranstaltung kann ich jedenfalls keine Juden erkennen. Da ist die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch genannt, der hessische Landesvorsitzende Robert Lambrou und die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, die jetzt in der Stiftung der AfD aktiv ist. Die sind alle drei nicht jüdischen Glaubens. Aber die AfD marschiert in Chemnitz Seite an Seite mit Pegida und Rechtsradikalen. Vielleicht will sie dem jetzt mit einer Art „Charmeoffensive“ etwas entgegensetzen, um in günstigeres Licht zu kommen. Aber die Gründung ist für mich überraschend und irritierend. Da wird unter falscher Flagge gesegelt.

Die Gruppe sagt, die AfD sei die einzige Partei, die sich klar gegen den Antisemitismus von muslimischen Flüchtlingen in Deutschland positioniere.
GUTMARK: Das kann ja jeder sozusagen als Tugend deklarieren. Tatsache ist: Es gibt Antisemitismus von rechts und von Muslimen. Untersuchungen, etwa vom hessischen Verfassungsschutz, zeigen, dass beide gleich stark in den sozialen Medien und andernorts agieren. Warum man für diesen Kampf gerade die AfD benötigen sollte, weiß ich nicht. Mir kommt das eher so vor, als wolle man sich vor den anstehenden Wahlen beliebt machen. Ich kenne jedenfalls genügend andere Parteien und Gruppierungen, denen der Antisemitismus auch Sorge bereitet und die ihn bekämpfen wollen, gleich ob er von rechts oder von Muslimen kommt.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland sucht ja auch das Gespräch mit muslimischen Gemeinden über Antisemitismus. ist das weiter sinnvoll?
GUTMARK: Die Gesellschaft ist für jede Form von Antisemitismus verantwortlich. Daher begrüßen wir auch die Berufung von Antisemitismusbeauftragten sowohl im Bund als auch im Land Hessen. Ich fürchte, das Phänomen Antisemitismus wird auch nach den Wahlen nicht verschwunden sein, dann kann man es vielleicht realistischer angehen als in den Wahlkämpfen. Selbstverständlich sind auch Gespräche mit Muslimen sinnvoll. Jeder ist wilkommen, wenn es gegen den Ausschluss von Menschen aus der Gesellschaft geht.

Welche Rolle spielen für Juden im Umgang mit der AfD die Äußerungen von Parteichef Alexander Gauland von der Nazi-Zeit als „Vogelschiss der Geschichte“ oder des Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke zum „Mahnmal der Schande“?
GUTMARK: Gauland und Höcke haben im Nachhinein versucht, das zu relativieren. Aber damit sind ihre Worte keineswegs aus der Welt. Und AfD-Politiker fordern auch das Verbot von Schächtung und Beschneidung. So etwas triftt Muslime und Juden gleichermaßen.

Kann die Jüdische Gemeinde etwas gegen die geplante Gründung der Vereinigung Juden in der AfD tun?
GUTMARK: Juristisch wird es nicht zu bekämpfen sein, da fehlt die rechtliche Handhabe. „Juden“ ist kein geschützter Rechtsbegriff. Aber es gibt viele deutliche Äußerungen aus den Jüdischen Gemeinden, die sich gegen das Vorhaben wehren. Allerdings bin ich auch kein Freund allzu lauten Protests, der der AfD vielfach durchaus willkommen ist. Die Partei setzt ja gerade als Kalkül auf solche Aufmerksamkeit, um neuen Zulauf zu bekommen.

Wird sich die Jüdische Gemeinde Hessen im Landtagswahlkampf positionieren?
GUTMARK: Wir halten uns aus dem Wahlkampf heraus. Die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde spiegeln die ganze Gesellschaft wider. Daher liegt es uns fern, tendenziell bestimmte Parteien zu unterstützen.

Eine Warnung vor der AfD ist auch nicht beabsichtigt?
GUTMARK: Nein, wie gesagt, wir halten uns aus dem Wahlkampf heraus. Aber wir werden die AfD auch sicher nicht unterstützen.

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