14.11.2018

Gedenkfeier an Pogromnacht am Michelsberg in Wiesbaden

Wiesbaden

Mehrere Hundert Wiesbadener haben am Standort der zerstörten Synagoge der Pogromnacht vor 80 Jahren gedacht. Die Redner mahnten, sich auch heute gegen Antisemitismus zu stellen.

Eine gewisse Resignation vermochte Jacob Gutmark nicht zu verbergen. Für den Vorstand der Jüdischen Gemeinde sprach er beim Erinnern an die Reichspogromnacht am Standort der 1938 zerstörten Synagoge am Michelsberg von „Irritation und Ratlosigkeit“ angesichts einer neuen, „subtilen und aggressiven Form von Judenhass“, wobei destruktive Phänomene nicht allein die Juden beträfen. Es habe, so Gutmark, an ein Wunder gegrenzt, dass die Juden nach dem großen Morden zurück nach Deutschland gekommen seien. Gleichwohl: „Eine Grundskepsis ist geblieben“, appellierte er an das Besinnen der Menschen, dem allgegenwärtigen Antisemitismus „auch mit Bildung“ zu begegnen. „Vieles vom dem, was ich heute gesagt habe, habe ich auch schon am 10. November 1988 gesagt“, formulierte Jacob Gutmark seine Skepsis. Und Resignation.

Antisemitismus tritt hemmungsloser zutage

Trotz zunehmendem Antisemitismus und mehr als allein in Berlin im Jahr 2017 registrierten 900 antisemitischen Vorfällen, die Wiesbadens Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel in ihrer Ansprache nannte, hatten sich kaum mehr Gäste zu der Gedenkstunde an dem von Fahrzeug-Barrieren und Polizei gesicherten Mahnmal am Michelsberg eingefunden als im Vorjahr. Gabriel kritisierte den „für Juden erfahrbaren und für alle sichtbaren Antisemitismus, der immer hemmungsloser zutage tritt“, scharf. Als „beschämend“ verurteilte sie die öffentlich geführte Debatte darüber, ob Juden in Deutschland sicher seien. Antisemitismus, der als Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinenser verbrämt werde, sei ein Problem „der ganzen Gesellschaft“. Und er werde womöglich durch Ignoranz, Unwissenheit, Abstumpfung oder bloße Gedankenlosigkeit begünstigt. „Religiöse Äußerungen sind in unserem Land besonders geschützt“, machte Gabriel deutlich. Jeder, der hier lebe, habe dabei die notwendige Toleranz zu üben.

Mit Paul Kester, der 1925 in Wiesbaden als Paul Kleinstrass geboren wurde, sollte ein in die USA emigrierter Zeitzeuge an der von der Stadt, der Jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ausgerichteten Gedenkstunde teilnehmen. An seiner Stelle besuchte nun sein Sohn Daniel Kester das Mahnmal, an dem auch die Namen seiner 1943 in Auschwitz ermordeten Großeltern Johanna und Albert Kleinstrass in steinernen Lettern verewigt sind. „Erinnerung kann ohne die Jugend keine Zukunft haben“, erklärte Gabriel, die sich ebenso wie Gutmark über das Engagement der Schülerinnen und Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule und der Diltheyschule und der Jugendlichen vom Jugendzentrum Oz an der Gedenkfeier freute. In teils lyrischen Texten ließen die Jugendlichen Erlebnisse und Eindrücke der von den Nazis verfolgten Wiesbadenerinnen und Wiesbadener jüdischen Glaubens lebendig werden. Und sie berichteten von Fassungslosigkeit breiter Teile der Bevölkerung angesichts der brennenden großen Synagoge am Michelsberg. Aber auch von aktiver Unterstützung. Und von Desinteresse und Apathie.

Nach dem Vortrag des Psalms 23, des Gebets „El Male Rachamim“ von Martin Pam von der Jüdischen Gemeinde und dem von Gutmark vorgetragenen Kaddisch nutzten zahlreiche Teilnehmer die Gelegenheit, ihre Anteilnahme durch das Entzünden von Gedenkkerzen für die Opfer der Shoah zu bekunden.

Heute ist der

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