Wie die Jüdische Gemeinde Wiesbaden die aktuelle Lage einschätzt
Will ein Besucher in die Synagoge, kommt er um die Sicherheitsschleuse nicht herum. Er passiert einen Durchgang mit zwei Türen. Erst nach dem Zufallen der ersten Tür öffnet sich die zweite. „Über Sicherheit spricht man nicht, Sicherheit macht man“, kommentiert der Geschäftsführer Steve Landau die Vorkehrungen seiner Gemeinde. Dazu gehören auch uniformierte Polizisten vor der Sicherheitsschleuse. Braucht es das heute noch? Wie ist die Stimmung der Gemeindemitglieder?
Obwohl die Gemeinde gut geschützt liegt, erleben jüdische Gläubige weiterhin antisemitische Vorfälle. Seien es Schmierereien an Wänden, krude Zurufe auf der Straße oder hetzerische Kommentare im Netz – Delikte, die sich gegen jüdische Einzelpersonen oder Einrichtungen wenden, traten in Wiesbaden auch im Jahr 2018 auf.
„Heute ist Antisemitismus oft unterschwellig“, berichtet Landau. Vorurteile und Verschwörungstheorien hielten sich hartnäckig. Beispielsweise werde gefragt, ob Juden keine Steuern zahlten oder Coca-Cola von Juden unterwandert wäre. Auch Sätze wie „Sie sehen gar nicht aus wie ein Jude“ kämen vor. In den sozialen Medien würden Nutzer Antisemitismus offen zeigen, hält Jakob Gutmark, Kulturdezernent in der Jüdischen Gemeinde, fest. Er verweist auf eine Analyse des hessischen Verfassungsschutzes. Laut dieser schrieben sowohl Menschen mit muslimisch geprägten als auch Menschen mit einem rechtspopulistischen Antisemitismus diskriminierende Kommentare.
In der Jugendsprache hielten sich judenfeindliche Ausdrücke. So würden geizige Menschen „Du Jude“ genannt, erläutert Landau. Für jüdische Kinder sei die Lage an Schulen nicht einfach. Mark Krasnov, Lehrer für jüdische Religion und Spanisch an der Diltheyschule, bemerkt, dass seine Schüler vorsichtig geworden seien. „Sie wollen die Kippa nicht sichtbar tragen oder drehen T-Shirts mit hebräischer Aufschrift auf links.“ Dies liege auch daran, dass Schüler mit naiven Fragen und Vorurteilen zu kämpfen hätten. „Wir von der jüdischen Gemeinde können keine Aufklärer sein. Warum müssen Juden ihre Religion und Antisemitismus erklären?“, beklagt Gutmark. Darum versteckten viele Gemeindemitglieder ihre Religionszugehörigkeit. „Man braucht keine zusätzlichen Probleme“, bemerkt Landau und klingt etwas resigniert.
Generell fühlen sich die Gemeindemitglieder gut von den Behörden unterstützt. Aufgrund der guten Sicherheitslage in Deutschland zogen und ziehen immer noch Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion hinzu.