13.10.2019

Polizei verstärkt Präsenz vor Bad Nauheimer Synagoge

Bad Nauheim

Mit Entsetzen haben Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim den Anschlag auf die Synagoge in Halle registriert. Die Frage nach dem Schutz des Gotteshauses in der Karlstraße stellt sich.

Anfang des Jahrtausends wurde die Bad Nauheimer Synagoge in der Karlstraße mit großem Aufwand innen renoviert. Vor etwa sieben Jahre erfolgte die Außensanierung. Bis dahin hätte ein Terrorist wie der 27-jährige Rechtsextreme aus Eisleben problemlos ins jüdische Gotteshaus marschieren können. Nach Aussage von Manfred de Vries, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, waren die zwei hölzernen Eingangstüren nicht gesichert, ließen sich mit etwas Kraftaufwand aufdrücken. Das änderte sich im Rahmen der Instandsetzung. Die alten Türen gibt es zwar noch, sie wurden aber von innen durch eine Metallkonstruktion und Sicherheitsschlösser ergänzt. Zudem ließ die Gemeinde eine Videoüberwachungsanlage installieren und die Sicherung der Fensterscheiben verstärken.

Diese Verbesserungen bieten allerdings keinen hundertprozentigen Schutz. "Wir möchten keinen Hochsicherheitstrakt wie in anderen Synagogen", sagt de Vries. In Bad Nauheim wäre es dem Attentäter aus Sachsen-Anhalt vermutlich gelungen, die Eingangstür aufzusprengen. "Im Gegensatz zur Synagoge in Halle gibt es bei uns keine schusssicheren Türen und Einlassschleuse", erläutert der Gemeindevorsteher. Die Videoanlage sei nicht auf dem neusten Stand.

Der Aufrüstung des Bad Nauheimer Gebäudes sind natürliche Grenzen gesetzt. Die allermeisten deutschen Synagogen wurden während der Nazidiktatur komplett zerstört. In der Kurstadt blieb das 1927/28 gebaute Gotteshaus dagegen erhalten. "In neu errichteten Synagogen können ganz andere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden", erklärt de Vries.

Orthodoxer Rabbi attackiert

Der Vorsitzende sieht in Bad Nauheim kein Sicherheitsproblem - weder inner- noch außerhalb der Synagoge. Die Jüdische Gemeinde werde vor allem von der Politik "unheimlich unterstützt". Die Kooperation mit der Polizei, bei Veranstaltungen immer präsent, sei hervorragend. Trotzdem gibt es auch in Bad Nauheim bedenkliche Vorfälle. So kam es zu Hakenkreuzschmierereien. "Zudem wurde unser orthodoxer Rabbi mehrfach attackiert, einmal im Kurpark." Die Angriffe mit muslimischem Hintergrund seien "nicht schlimm" gewesen, zeigten aber latenten Antisemitismus. In seinem Wohnort Neu-Anspach ist de Vries selbst von einem offenbar rechtsradikalen Ortspolizisten verbal attackiert worden.

Er unterscheidet drei Kategorien von Hass auf Juden, nennt rechtsextremen, linken und muslimischen Antisemitismus. Die Naziideologie habe nach wie vor etliche Anhänger - Stichwort "Büdingen". Der muslimische Antisemitismus sei verbreitet, auch durch Flüchtlinge importiert. "Ich habe viel Kontakt zu diesen Einwanderern. Am Anfang sehe ich Hass in ihren Augen. Nach einem von Respekt geprägten Gespräch werde ich aber oft akzeptiert", sagt der Vorsitzende.

Linker Antisemitismus tarnt sich laut de Vries durch Kritik an Israel, in Wirklichkeit gehe es um Ablehnung der Juden. "Ich verteidige diesen Staat, wo es nur geht, zwischen mich und Israel passt kein Blatt Papier."

Polizei reagiert sofort

Blickten Gemeindemitglieder auf Anschläge wie in Halle oder auf Zustände an manchen Schulen, dächten einige an Auswanderung. "Das gilt auch für mich. Manchmal habe ich das Gefühl, nicht willkommen und in Gefahr zu sein" betont de Vries. Er bleibt aber optimistisch. Auch wegen des Vermächtnisses seiner Eltern, die Auschwitz und den Todesmarsch überlebt hatten. "Sie kehrten nach dem Krieg in unsere Heimatstadt Recklinghausen zurück und haben dort mit weiteren Überlebenden die jüdische Gemeinde wieder aufgebaut. Meine Aufgabe ist es, jüdisches Leben im Zentrum der Gesellschaft zu positionieren."

Die Polizei Mittelhessen hat direkt auf den Anschlag in Halle reagiert. Während am Mittwoch in der Synagoge Jom Kippur gefeiert wurde, bekamen die Gläubigen zunächst nichts von den Vorfällen mit. Die Polizei reagierte sofort und schickte zusätzliches Personal nach Bad Nauheim - drei Fahrzeuge standen vor den Eingängen. Nach Aussage von Martin Ahlich, Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen, sei die Polizei bei Veranstaltungen in der Synagoge, anders als in Halle, stets vor Ort. Auch an anderen Tagen schauten die Kollegen vorbei, denn "jüdische Objekte" seien mit hoher Gefährdungsstufe versehen. "Nach Halle wurde die noch mal erhöht", erklärt Ahlich.

278 Holocaust-Opfer

Bürger jüdischen Glaubens in Bad Nauheim wurden 1303 erstmals schriftlich erwähnt. Im 15. Jahrhundert etablierte sich eine jüdische Gemeinde, die in der Folgezeit wuchs. 1867 wurde die erste große Synagoge errichtet, 1927/28 erfolgte der Neubau in der Karlstraße. Vor 1933 hatte die Gemeinde etwa 600 Mitglieder. Zahlreiche erfolgreiche Geschäftsleute, hochrangige Ärzte und Wissenschaftler gehörten dazu. Paradebeispiel ist Prof. Franz Groedel, Gründer des Kerckhoff-Forschungsinstituts, der bereits 1933 vor den Nazis in die USA floh. Er sollte nie zurückkehren, ließ sich aber in Bad Nauheim beerdigen. 278 Holocaust-Opfer, die aus Bad Nauheim stammen, sind zu beklagen. Für sie wurde eine Erinnerungsstätte errichtet.

Der erste jüdische Gottesdienst auf deutschem Boden nach 1938 wurde sofort nach dem Krieg in der Karlstraßen-Synagoge gefeiert, die in der sogenannten Reichspogromnacht nicht zerstört worden war. In den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit fristete die Gemeinde eher ein Schattendasein. Ein Aufschwung erfolgte durch die Einwanderung von Menschen jüdischen Glaubens aus den Gebieten der früheren Sowjetunion. Seitdem hat die Jüdische Gemeinde etwa 300 Mitglieder, rund 80 Prozent stammen aus der Ex-UdSSR. Nach 2002 wurde die Synagoge aufwendig restauriert. Hinzu gekommen ist das Josef-Buchmann-Schulungszentrum im Ernst-Ludwig-Ring.

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