13.10.2019

Jüdische Gemeinde Kassel geschockt von Anschlag in Halle – Polizei präsent

Kassel

Nach dem Anschlag auf die Jüdische Gemeinde in Halle steht die Synagoge in Kassel rund um die Uhr unter Polizeischutz. Die Jüdische Gemeinde hat sehr viel Solidarität erfahren.

Der Anschlag in Halle mit zwei Toten sei nicht nur ein Schlag gegen die Jüdische Gemeinde, sondern ein Schlag gegen ganz Deutschland und die Demokratie, sagt Ilana Katz. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel war mit weiteren Gläubigen am Mittwochnachmittag in der Synagoge an der Bremer Straße, um Jom Kippur (Versöhnungstag), den höchsten jüdischen Feiertag, zu begehen. Als die Gläubigen von dem Anschlag in Halle erfuhren, seien sie alle geschockt gewesen, sagt Katz. „Das ist ein schreckliches Gefühl. Der braune Tumor wächst.“

Die Nachrichten aus Halle hatten auch Konsequenzen für die Feierlichkeiten in der Kasseler Synagoge. Zu dem abendlichen Gottesdienst seien kaum noch Gläubige gekommen, erzählt Vorstandsmitglied Esther Haß. Während am Vormittag noch um die 60 Juden beim Gottesdienst waren, habe am Abend nicht mal mehr die Tora-Lesung stattfinden können. „Dazu sind zehn Männer notwendig. Es waren aber nur noch acht da“, sagt Haß. Der Rabbiner habe dann improvisiert und ein Ausweichprogramm auf die Beine gestellt.

Synagoge in Kassel wird derzeit rund um die Uhr bewacht

Zudem habe die Polizei am Abend sofort reagiert. Schon den ganzen Tag stand ein Streifenwagen vor dem Gotteshaus im Stadtteil Wesertor, sagt Haß. Ab 20 Uhr seien es zwei gewesen. Und jetzt werde man rund um die Uhr bewacht.

„Wir sind besonders sensibilisiert und haben an jüdischen Einrichtungen unsere Präsenz erhöht“, sagt Polizeisprecherin Ulrike Schaake. Aus taktischen Gründen könne sie aber keine weiteren Angaben machen.

Polizeischutz vor der Synagoge ist nichts ungewöhnliches

Esther Haß erzählt, dass sie jeden Monat der Polizei mitteilt, wann Veranstaltungen in der Synagoge stattfinden. Jedes Mal, wenn dort zum Beispiel Religionsunterricht für Kinder, Führungen oder Angebote für Senioren stattfinden, steht eine Streife vor der Tür. Auch am Montagabend, als der Neujahrsempfang in der Synagoge gefeiert wurde, waren draußen Polizisten. „Bei Feiern versorgen wir die Beamten immer mit Essen“, sagt Haß.

Männer verstecken ihre Kippa unter einer Basbalkappe

Haß und Katz sind sehr dankbar für die Unterstützung der Polizei. Noch glücklicher wären sie aber, wenn Juden diesen Schutz nicht benötigen würden. „Wieso können Menschen nicht frei beten“, fragt Katz. Haß sieht auch einen Unterschied zwischen Muslimen und Juden. Türkische Frauen mit Kopftuch könnten sich in Deutschland ganz normal bewegen, sagt sie. „Unsere Männer müssen die Kippa unter der Baseballkappe verstecken.“

Seit einigen Jahren spürt die jüdische Gemeinde Kassel verstärkt Antisemitismus

Seit drei bis vier Jahren sei ein verstärkter Antisemitismus auch in Kassel spürbar, erzählt Haß. Die Jüdische Gemeinde, die knapp 900 Mitglieder in ganz Nordhessen hat, bekomme nicht nur Hassbriefe und -mails, sondern „Jude“ sei mittlerweile auch wieder ein offizielles Schimpfwort auf Schulhöfen. 

Da würden Kinder mit „Du Jude“ beschimpft, so Haß. Egal ob sie jüdischen Glaubens sind oder nicht. Aus Angst trauten sich einige Eltern deshalb nicht mehr, ihre Kinder in den Religionsunterricht in die Synagoge zu schicken. Viele jüdische Menschen seien verängstigt.

Viel Solidarität für die Jüdische Gemeinde

Nach dem Anschlag in Halle hat die Jüdische Gemeinde gestern aber auch viel Solidarität erfahren. Vor der Synagoge haben Unbekannte Blumen und Kerzen niedergelegt. „Das hat mich sehr gefreut“, sagt Esther Haß.

Auch vor der Wohnungstür von Ilana Katz lagen am Morgen Blumen. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde hat in der Nacht zum Donnerstag bis 3.30 Uhr Nachrichten von Menschen bekommen, die ihr Mitgefühl ausdrücken wollten.

Christlichen Kirchen in Kassel zeigen Solidarität

Auch die beiden christlichen Kirchen in Kassel wollen ein Zeichen setzen. Dechant Harald Fischer und Dekan Michael Glöckner wollen heute das Sara-Nussbaum-Zentrum an der Ludwig-Mond-Straße besuchen, um Solidarität zu bekunden. Beate Hofmann, die neue Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, hat sich an die Jüdische Gemeinde in einem Schreiben gerichtet.

Dort heißt es: „Der Anschlag bestärkt meine Entschlossenheit, deutlich gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einzutreten, damit nicht ein Klima von Hass und Angst unser Leben beherrscht.“ Das Ziel aller müsse es sein, dass Menschen aus unterschiedlichen Religionen und Kulturen in Deutschland friedlich und ohne Angst miteinander leben können.

Heute ist der

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