12.10.2020

Menschenkette um Bad Nauheimer Synagoge

Bad Nauheim

Petra Ihm-Fahle

Am Freitagabend bildeten Bürger in Bad Nauheim eine Menschenkette um die Synagoge in der Karlstraße. Ziel war eine Solidaritätsbekundung, während die Jüdische Gemeinde Gottesdienst feiere.

Als sich die Bürger am frühen Freitagabend zur Menschenkette um die Jüdische Synagoge Bad Nauheim formieren, ist der Himmel grau. Rabenschwarz war der Tag, als ein Jahr zuvor ein rechtsextremistischer Täter auf die Synagoge von Halle schoss. Datum der Mordtat mit zwei Todesopfern vor der Synagoge und in einem Döner-Imbiss war der 9. Oktober 2019.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Wetterau (GCJZ) hatte nun zu der Menschenketten-Aktion eingeladen, die drei Polizeiautos bewachen. Das Ziel: Die Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde zu bekunden, während diese einen Gottesdienst begeht. 70 bis 80 Bürger sind nach Schätzung der Polizei da, darunter Politiker aus Stadt, Kreis und Land, sowie Vertreter von Ausländerbeirat, Vereinen und Kirchen. "Heute vor einem Jahr hat ein Mann in Halle geschossen: auf Menschen, auf Türen. Er war allein und doch nicht allein, denn er befand sich in einer Blase aus Antisemitismus und Hass auf Jüdinnen und Juden, auf Fremde", sagte zur Eröffnung Dr. Peter Noss (evangelischer stellvertretender Vorsitzender GCJZ). Die Aktion wolle zeigen, dass die Menschen gegen Judenhass und Rassismus zusammenstünden. GCJZ-Vorsitzende Britta Weber betonte: "Wir fordern Investitionen in Aus- und Fortbildung, in Bildung und Aufklärung, damit die immer wieder auflebenden Verschwörungstheorien und der wachsende Antisemitismus keine Anhänger finden." Anschließend überreichte sie 300 Unterschriften an Manfred de Vries, das Oberhaupt der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim. Hessenweit hatte die Landes-GCJZ Unterschriftenaktionen initiiert.

Wie Bürgermeister Klaus Kreß unterstrich, seien die rassistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Schatten in den letzten Jahren lang geworden, "sehr lang - zu lang". Die Gesellschaft müsse dies verhindern. "Wir stehen zusammen gegen Antisemitismus und Diskriminierung. Und vor allem stehen wir zusammen für unsere Werte von Toleranz und Offenheit, Meinungs- und Glaubensfreiheit. Wir stehen zusammen für das Recht auf Individualität, das dort endet, wo das Recht des anderen beginnt."

Der evangelische Dekan Volkhard Guth betonte: "Wir widersprechen jedem Antisemitismus. Als Christinnen und Christen müssen wir sagen: ›Antisemitismus ist eine Sünde gegen Gott!‹" Dass heutzutage jüdische Gotteshäuser bewacht würden, jüdische Menschen wieder in Angst leben müssten, mache betroffen. Die Opfer von Halle mahnten, dass Antisemitismus immer auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei. Es stelle die Würde aller Menschen infrage. "Dem gilt es zu widerstehen."

De Vries von der Jüdischen Gemeinde dankte allen, die erschienen waren. "Was wäre 1938 gewesen, wenn eine ähnliche Aktion vor den Synagogen stattgefunden hätte? Ich glaube, es hätte etwas bewirkt. Aber damals hat sich niemand dazu bekannt, eine solche Aktion durchzuführen." Nun seien andere Zeiten. Das Deutschland von heute sei ein demokratisches Land, und es lohne sich, dafür zu kämpfen. "Die Frage, die sich stellt: Können wir uns dagegen wehren, wenn wieder Judenhass ähnlich wie damals anfängt, das Zentrum der Gesellschaft zu erreichen? Ich glaube schon." Wichtig sei es, die Mehrheit dazu zubekommen, sich gegen alle Arten von antimenschlichen Situationen und Parteien zu wehren. Die Synagoge habe als eine der ersten in Hessen wieder aufgemacht und bleibe offen: "Wir möchten unsere Religion in Deutschland ausüben und ausüben dürfen - wir nehmen uns die Freiheit."

Die Menschen bilden nun einen Kranz um das Gotteshaus. Den Abstand halten sie mit Leuchtstäben ein, deren Lichter bunt blinken.

 

 

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